Personal­­entwicklung in Zeiten von Covid 19

Outdoor im Trend: Mit dem Crosscamp ins Grüne

Ein Interview mit der Dresdner Arbeits- und Organisations­­psychologin Dr. Ulla Nagel zu den Herausforderungen von Personal­­entwicklung unter Pandemie­ bedingungen – dieser Artikel erschien auch im Disy-Magazin

outdoor teamentwicklung

Disy: Frau Dr. Nagel, Sie führen seit fast 29 Jahren ein Unternehmen im Bereich Personal- und Unternehmens­entwicklung, eine Branche, die in der Pandemie sicher zu den gefährdetsten gehört…

Dr. Ulla Nagel: Ja, absolut. Wir arbeiten mit Menschen, insb. auch mit Gruppen und sind durch Kontakt­beschränkungen in unserer Arbeit recht schnell behindert. Die virtuelle Kommunikation kann einiges abfangen, setzt aber auch Grenzen. Wichtige soziale Phänomene, die Personal- und Organisations­entwicklung befördern, z.B. Emotionen, Empathie, Inspiration, Energie­austausch und Motivation, verflachen in der virtuellen Welt.

Disy: Ich kenne aber eine Reihe von Menschen, die die neuen virtuellen Möglichkeiten begeistert aufgenommen haben und nun Teile ihrer Arbeitszeit im Home­office verbringen!

Dr. Ulla Nagel: Für mich sind das zwei verschiedene Paar Schuhe. Es gibt eine Vielzahl von Aufgaben, die im ruhigen häuslichen Umfeld sogar besser lösbar sind, als im unruhigen, von Störungen gekennzeich­neten Büro­alltag. Aufgaben, bei denen ich mich konzentrieren muss und weniger zu kommunizieren brauche, eignen sich hervorragend für das Homeoffice. Auch Meetings, bei denen es vor allem um Absprachen geht, werden virtuell als schneller, effektiver und sachlicher erlebt. Aber bereits eine Wertediskussion oder eine Konfliktklärung gestalten sich schwieriger, fühlen sich etwas „blutleer“ an. Auch wird weniger gelacht. Lachen ist wie eine Welle, die sich von einem zum anderen fortsetzt. Man wird euphorisch, auch kühner und wird von den Ideen der anderen angesteckt. Manchmal bleibt man auch gern hinterher noch zusammen. Am Bildschirm verschwinden die Teilnehmer*innen schnell. Meistens hatten einige ihre Videos zuvor sowieso schon ausgeschaltet, andere schrieben nebenher Emails, WhatsApp‘s oder lenkten sich auf andere Weise ab. Online Meetings erfordern hohe Konzentration, die vielen schwer fällt.

Disy: Sie lehnen also Webinare, virtuelle Coachings oder Online-Konferenzen ab?

Dr. Ulla Nagel: Nein, überhaupt nicht. Mit dem Lock-down im März haben wir sofort mit Live-Online-Schulungen begonnen und Coaching über den Bildschirm durchgeführt. Hier stellen wir uns der Realität. Wir haben für unsere Seminare, Workshops und Coachings coole Online-Varianten entwickelt

 

Kuchen Motivation

Dr. Ulla Nagel: Es gibt tatsächlich online reichhaltige Möglichkeiten, interessante Veranstaltungen abzuhalten. Leider ziehen bis jetzt nur wenige Auftraggeber mit. Ich selbst habe mich in diesem Sommer drei Wochen am Stück online weitergebildet. Es war allerdings hinsichtlich der Intensität des Erlebens kein Vergleich zum Vorjahr, wo ich diese drei unvergesslichen Wochen zusammen mit mehreren hundert Fachkolleg*innen face to face in einem schönen italienischen Kloster genießen durfte.

Disy: Die leidenschaftlich vermisste Sonne Italiens hat sie vermutlich auf Ihre neue Idee gebracht.

Ulla Nagel: Das könnte man tatsächlich so sehen. Wir suchten nach Lösungen: Wenn wir uns nicht mehr im Seminarraum treffen dürfen und das Virtuelle wiederum soziale Prozesse verflachen lässt, dann erschien es uns nur logisch, die Menschen eben im Freien zusammenzubringen. So begannen wir mit sogenannten „Wandercoachings“ nach dem Motto „walk & talk“. Dabei fiel uns auf, dass das Bewegen in der Natur sehr befruchtende Wirkung auf den Reflexions­ prozess hat. Die Gehirn­ forschung liefert dazu die Beweise. Zu Zeiten des Lock-downs bescherte es außerdem die ersehnte Bewegung und die Begegnung mit der kraftspendenden Energie des Frühlings.

Disy: Sie haben sozusagen aus der Not eine Tugend gemacht?!

Dr. Ulla Nagel: Outdoor-Workshops sind ja an sich nichts Neues. Allerdings haben sie im Allgemeinen den Charakter einer Challenge: Mutproben, Überlebens­ training, über Limits gehen, unter gefahrverheißenden Umständen Vertrauen entwickeln etc. Das war nicht in unserem Fokus. Wir suchten nach der Chance in der Krise. Die lag dann nahe: Haben wir uns in unsrem Großstadtalltag nicht bereits viel zu weit von der Natur entfernt? Und dabei sind wir doch selbst ein Teil von ihr! Wir bewegen uns in klimatisierten Räumen, sitzen hinter Bildschirmen und tickern mehrere Stunden am Tag auf unserem Smart­ phone herum. Abends trainieren wir im Fitnessstudio und holen uns zum Abschluss die Natur über eine Fernseh­ sendung in die Stube. Ich liebe die Natur und kann durch meine Arbeit viel zu wenig in ihr sein. Sie gibt mir Ruhe und Frieden, ja eigentlich auch Sinn, denn ihre Schönheit und Vollkommenheit ist immer da, auch an Tagen, wo es im Herzen trübe ist.

Disy: Mit Goethe gesprochen: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein…“

teamentwicklung draußen
Dr. Ulla Nagel: Besser kann man es nicht ausdrücken! Das Ideen­schmieden unter freiem Himmel machte uns einfach viel Spaß. Unser neuer Firmenwagen, liebevoll Crossi genannt, war buchstäblich das Vehikel, das uns komfortabel in den Genuss dieser neuen Freiheit brachte. Eins war schnell klar: Wenn es uns guttut, dann ist es auch für unsere Kunden nützlich. So entstanden drei Outdoor-Angebote, für die sich das Natur­szenario super eignet:

Erstens für die Selbstreflexion. Da geht es um die eigene Standort­ bestimmung und Neu­ ausrichtung. Das Aussteigen aus dem Alltagstrott wirkt hier wie ein Turbo.

Zweitens für die Reflexion der Zusammenarbeit im Team: Das betrifft die sog. Teampsychohygiene, die nachhaltig für ein gutes Klima sorgt. Die Mitglieder lernen sich im Outdoor-Kontext von anderen Seiten kennen. Bislang unbekannte Fähigkeiten werden entdeckt. Einseitige oder verfestigte Perspektiven weichen sich auf. Augenhöhe ist leichter herstellbar.

Drittens funktionieren Visions- und Strategieworkshops. Die Natur und das „Back to the roots“-Verhalten regen die Kreativität und Phantasie an: Raus aus dem Stadtgedränge hoch auf den Berg, Überblick gewinnen, einmal ganz neu denken oder Kompliziertes vereinfachen, den lebendigen Kern finden.

Vision Unternehmen entwickeln

Disy: Das klingt nachvollziehbar und, ehrlich gesagt, auch sehr spannend. Nun frage ich mich allerdings, ob alle Teilnehmer dann in den Crosscamp hineinpassen.

Dr. Ulla Nagel: Nein, darum geht es auch nicht. Crossi bietet uns gute Möglichkeiten, Applikationen und anderes Workshop­material zu transportieren, heiße Getränke anzubieten und die Sachen der Teilnehmer*innen geschützt abzulegen. Auch dient er als Metaplanwand zum Aufkleben von Post it’s. Unter normalen Bedingungen könnte ich mir schon sehr gut vorstellen, dass ich mit drei weiteren Teilnehmern zu einer Selbsterfahrung oder einer Visionsfindung hinausfahre, dass wir die eingebaute Küche dann richtig zum Kochen nutzen und uns bei Regen um den Tisch herumsetzen. Da kommt Camper-Romantik hinzu. Die Abstands­regeln könnten wir dabei allerdings nicht einhalten. Ich habe eine andere Lösung gefunden. Für die Verpflegung, den Regenausweich und den Toilettengang fand ich Kooperationspartner, auf deren Wiesen wir uns stellen dürfen und die in fußläufiger Nähe ein Restaurant betreiben. Die Selbstreflexion bietet sich im Bielatal an und die Suche nach der passenden Vision auf der Hoch­ebene über dem Kirnitzschtal.

Disy: Nun möchte ich es aber doch noch etwas genauer wissen. Wie kann ich mir so einen Kurs im Grünen genauer vorstellen. Macht man dann dasselbe wie sonst im Seminarraum?

Dr. Ulla Nagel: Die Natur bietet andersartige Möglichkeiten. Wir können z.B. den erweiterten Raum für unsere Teilnehmer*innen nutzbar machen. Zur Standortbestimmung ist ein ungestörtes In-sich-Zurückziehen ein wichtiger Schritt. Im Wald ist das gut möglich, indem die Gruppe sternförmig auseinanderläuft und jede/r einzelne sich in einsamer Situation mit herausfordernden Fragen auseinandersetzt. Für die Arbeit mit Teams nutzen wir die natürliche Umgebung und die darin befindlichen Materialien, um gemeinsam Aufgaben zu lösen. Das macht viel mehr Spaß, als im Seminarraum einen Papierturm zu basteln. Die Weite hilft uns beim Blick in die Zukunft. Wir können die kürzere, die mittlere und die fernere Zukunft in der Landschaft verorten. Die Natur erweist sich als ein wunderbarer Ideenspender und bringt die Assoziationen zum Fließen. Fehlende Wände geben dem Geist Raum.

Disy: Das macht mich in der Tat neugierig. Ab wann man den ein solches Abenteuer bei Ihnen buchen? Jetzt wird es doch erst einmal kalt.

Dr. Ulla Nagel: Die Angebote für Firmen sind derzeit ab Mai 2021 vorgesehen. Ein offenes Seminar zur Selbstreflexion und Standortbestimmung wird auf jeden Fall auf dem Programm stehen. Als erste Kunden werden wir damit die Dresdner „Klasse Frauen“ ansprechen.